Heinrich-Suso-Gymnasium

Neuhauser Str. 1 78464 Konstanz

Galilei und die Jesuiten – Ein Fund zur Astronomiediskussion

Der Prozess gegen Galilei, sein Kampf gegen die Kirche sind bekannt. Dass kirchliche Astronomen, vor allem aus dem Orden der Jesuiten keinesfalls die verbohrten Ignoranten waren, für die man sie hielt, zeigt ein kleines Bändchen unserer Bibliothek. Es erschien 1614 unter der Ägide von Christoph Scheiner, einem der bedeutendsten jesuitischen Astronomen in Ingolstadt und diskutiert die aktuellen astronomischen Entdeckungen.

Dabei werden auch Galileis Entdeckungen (u. a. Phasen der Venus, Jupitermonde) behandelt und sogar in ihren Konsequenzen akzeptiert.

(Weitere Inhalte folgen.)

Fragt man nach Galilei, so fällt den meisten Schülerinnen und Schülern, sofern sie den Namen schon einmal gehört haben, der Inquisitionsprozess gegen den Astronomen ein. Die meisten wissen auch noch, dass Galilei das kopernikanische System verteidigt hat, und die Kirche, reaktionär wie sie war, dies für Ketzerei hielt, und daher Galilei wegen Ketzerei angeklagte. Galilei hat, nachdem ihm die Folterinstrumente gezeigt wurden, widerrufen und so sein Leben gerettet. So ähnlich kann man es auch in Johannes Hemlebens Bildmonographie "Galilei" nachlesen.[1]

Wer sich intensiver mit Galilei und seinem Prozess beschäftigt, und Deutschlehrer tun dies zur Zeit, da Brechts Theaterstück "Leben des Galilei" Pflichtlektüre im Grundkurs ist, wird allerdings sehr schnell merken, dass der tatsächliche Ablauf anders aussah. Wer sich also durch die entsprechende Lektüre durchgefressen hat, kann feststellen, dass Galilei nicht als Ketzer, sondern wegen Ungehorsams angeklagt und verurteilt wurde, da er das kopernikanische System nicht nur als Hypothese propagierte, sondern für wahr hielt. In einem ganz anderen Licht erscheint auch die Kirche, sie stand damals der Wissenschaft keineswegs feindlich gegenüber. Aus den Reihen der Jesuiten stammten vielmehr etliche bedeutende Astronomen wie bspw. Clavius oder Scheiner, die in ihren Forschungen durchaus auf der Höhe der Zeit waren. Die verbohrten Ignoranten, die auch in Brechts Stück auftauchen, kamen vielmehr aus den damaligen Universitäten.[2]

Da wir in der glücklichen Lage sind, eine Bibliothek zu besitzen, die von Jesuiten aufgebaut wurde, lag es nahe, einmal zu schauen, ob sich nicht in unseren Beständen die eine oder andere zeitgenössische Schrift finden würde. Beim Stöbern stieß ich auf ein Bändchen mit dem vielversprechenden Titel: "Disquisitiones mathemicae de controversiis et novitatibus astronomicis". Es behandelt also die Kontroversen und Neuheiten der Astronomie. Verfasser ist ein Herr Locher, Baccalaureus der Künste[3] und der Philosophie, Student der Jurisprudenz, und das Buch erschien im Jahr 1614. Die Untersuchungen wurden unter der Schirmherrschaft des bedeutenden jesuitischen Astronomen Scheiner, Professor an der katholischen Universität Ingolstadt, vorgelegt und gedruckt.[4] Sein Name prangt auch unübersehbar auf dem Titelblatt. An diesem Bändchen konnte es sich also erweisen, was die offizielle kirchliche Astronomie von Galilei und seinen Entdeckungen hielt.

1610, also vier Jahre zuvor, war Galileis Werk "Siderius nuncius" (Sternenbote) erschienen und dort veröffentlichte er seine neuen Entdeckungen: Die Mondgebirge, die nahelegten, dass der Mond der Erde ähnlich ist, die Jupitermonde, die zeigten, dass die Planeten nicht - wie von Aristoteles postuliert - an Kristallsphären festgemacht sind, die Phasen der Venus, die beweisen, dass die Venus sich um die Sonne bewegt. 1613 reklamiert Galilei dann die Entdeckung der Sonnenflecke[5] für sich und gerät mit Scheiner darüber in einen Prioritätsstreit. All diese Entdeckungen waren nach Galilei der Beweis dafür, dass die Erde und die Planeten sich um die Sonne drehen.

Werfen wir nun einen Blick in Lochers Disquisitiones. Und schon beim Durchblättern wird klar: Hier werden wirklich die Novitäten der Astronomie, also Galileis Entdeckungen diskutiert. Wir finden eine Darstellung des kopernikanischen Systems, die Abbildung des Mondes mit Beschreibung der zugehörigen Berge und Täler, wir finden die Darstellung der Venusphasen und die Jupitermonde. Und aus diesen Beobachtungen werden die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen. So heißt es bei der Beschreibung der Venusphasen: "E quibus illuminationibus necessario Soli circumducitur" (Wegen dieser Beleuchtungserscheinungen wird sie [die Venus] notwendigerweise um die Sonne herumgeführt). Bei der Beschreibung der Jupitermonde werden die Umlaufzeiten der Monde, die Galilei im Siderius Nuncius angibt, sogar verbessert, Locher hat also offensichtlich noch aktuellere Literatur konsultiert.

Die Phasen der Venus

Abgesehen von den schönen Holzschnitten, die das Büchlein zu einem kleinen Schatz machen, ist es ein Beleg dafür, dass die kirchlichen Wissenschaftler durchaus auf der Höhe der Zeit waren. Und wenn sie dem kopernikanischen System kritisch gegenüber standen, so hatten sie sogar eher Recht als Galilei. Die Kreisbahnen, die Kopernikus annahm, beschreiben die Planetenbahnen nur unzureichend. Kepler fand 1609 heraus, dass sich die Planeten tatsächlich auf Ellipsenbahnen bewegen. Und obwohl Kepler und Galilei Briefe wechselten und über ihre Forschungen diskutierten, hat Galilei Keplers revolutionären Durchbruch nie zur Kenntnis genommen.

Abbildung des Mondes mit seinen Gebirgen

Während Kepler seinen neuplatonischen Ansatz, den er in seinem Werk "Harmonice mundi" (Die Weltharmonie) vertrat, später korrigierte, da er mit seinen Berechnungen nicht übereinstimmte, blieb Galilei stur bei seiner einmal gefassten Meinung und vertrat diese genauso starrköpfig wie undiplomatisch. Die Haltung, die Kardinal Bellarmin, Chef des Heiligen Officiums, in einem Brief an Paolo Antonio Foscarini vertrat, war der damaligen Situation viel eher angemessen:

Ich halte dafür: wenn es wahrhaft bewiesen würde, dass die Sonne im Mittelpunkt der Welt und die Erde im dritten Himmel steht und dass nicht die Sonne die Erde umkreist, sondern die Erde die Sonne umkreist, dann müsste man sich mit großem Bedacht um die Auslegung der Schriften bemühen, die dem zu widersprechen scheinen, und eher sagen, dass wir es nicht verstehen, als zu sagen, das Bewiesene sei falsch. Aber ich werde nicht glauben, dass es einen solchen Beweis gibt, solange es mir nicht bewiesen worden ist; es ist nicht dasselbe, ob man den Beweis für die Annahme erbringen will, dass die Erde im Mittelpunkt steht und die Sonne am Himmel, und damit der Augenschein gewahrt wird, oder ob man zu beweisen sucht, dass die Sonne in Wirklichkeit im Mittelpunkt steht und die Erde am Himmel; denn vom ersten Beweis glaube ich, dass er möglich sein könnte, aber bezüglich des zweiten hege ich größten Zweifel, und im Zweifelsfalle darf man nicht von der Heiligen Schrift und der Auslegung der Kirchenväter abrücken.[6]

Im Übrigen gehört es auch zu den Legenden der Wissenschaftsgeschichte, dass Kopernikus aus Angst vor der Kirche sein Werk "De revolutionibus orbium coelestium" erst kurz vor seinem Tod veröffentlichte. In Wirklichkeit war es genau umgekehrt: Kirchliche Würdenträger drängten ihn zur Veröffentlichung. Dass dieses Werk im Jahr 1616 auf den Index kam, hatte machtpolitische Gründe, und schon in den 20er Jahren war das Klima - vor allem seit Kardinal Barberini 1623 Papst geworden war - wesentlich liberaler geworden. Dass in seine Amtszeit der Prozess gegen Galilei fällt, hat mit mehr mit Weltpolitik zu tun als mit einer wissenschaftlichen Kontroverse.

Der Prozess gegen Galilei war ein Markstein in der Wissenschaftsgeschichte und hatte Folgen, die die Kirche sicher nicht beabsichtigt hatte. Die Zentren wissenschaftlicher Arbeit verlagerten sich in protestantische Länder wie die Niederlande und nach England. Die Trennung von Wissenschaft und Kirche nimmt hier ihren Anfang, ob dies immer gut war, bleibt fraglich.[7] Dass heute die Stelllungnahme der katholischen Kirche zur Gentechnik hinten auf der fünften Seite der Süddeutschen Zeitung erscheint, ist letztlich eine Folge dieses Prozesses. Auch Brecht, dessen Galilei ein glühender Verfechter der Freiheit der Wissenschaft und der Vernunft ist, hat seine Einstellung angesichts des Atombombenabwurfs auf Hiroshima korrigiert und die 14. Szene seines Stückes umgeschrieben. Dort sagt Galilei: Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.[8]

Der Jupiter mit seinen Monden


[1] Johannes Hemleben: Galilei, rororo Bildmonographien, Reinbek 1969ff

[2] vgl. z.B. Feyerabend, P.: Irrwege der Vernunft, Frankfurt 1989
Brandmüller, Walter: Galilei - Ein Forscher im geistesgschichtlichen Spannungsfeld des Barock, in: Uta Lindgren (Hrsg): Naturwissenschaft und Technik im Barock, Köln, Weimar, Wien 1997
Brandmüller, W.: Galilei und die Kirche. Ein Fall und seine Lösung, Aachen 1994
Redondi, P.: Galilei - der Ketzer, München 1989

[3] Gemeint sind die sieben freien Künste, zu denen auch Astronomie, Arithmetik und Geometrie zählen.

[4] Alle Abbildungen sind diesem Band entnommen

[5] Veröffentlicht in Istoria intorno all macchie solari, 1613

[6] Aus: Galileo Galilei, Schriften, Briefe, Dokumente. Herausgegeben von Anna Madry, München 1987

[7] Vgl. dazu Feyerabend, P.: Irrwege der Vernunft, Frankfurt 1989

[8] Brecht: Leben des Galilei, Frankfurt 1962, S. 125

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